Wo wir die ludische Verzerrung berücksichtigen sollten
Eine als fair bezeichnete Münze ist 49 Mal hintereinander auf „Kopf“ gefallen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch beim 50. Mal auf Kopf fällt?
- 50% lautet die Antwort auf Basis der statistischen Annahme, dass der faire Münzwurf unabhängig vom vorigen Ergebnis ist.
- De facto 0% lautet die Antwort unter Berücksichtigung des realen Kontexts – es handelt sich bei dem Münzwurf offensichtlich nicht um einen „fairen“. Es spricht die reale Beobachtung dafür, dass die Münze manipuliert ist.
Die Ludic Fallacy wäre in diesem Beispiel das wahrscheinliche Element „manipulierte Münze“ (und daher mehr reale Komplexität) auszuklammern und sich auf die Modellebene zurückzuziehen.
Die praktische Problematik besteht darin, den jeweiligen Kontext und die damit verbundene Komplexität richtig einzuordnen. Denn: Wahrscheinlichkeiten, Schätzungen und Annahmen begleiten uns überall, etwa bei:
- Entscheidungen im Unternehmenskontext,
- der Einschätzung des Potentials einer Bewerberin oder
- der Prognose von Wahlergebnissen.
Es stellt sich stets die Frage, ob es sich um eine Situation des strukturierten Zufalls (wie im Casino) oder des unstrukturierten handelt. Dementsprechend sind für die genannten Beispiele Modelle mehr oder weniger brauchbar.
Wichtige Schlussfolgerungen für die Praxis
Die Idee, naive und vereinfachende statistische Modelle auf komplexe Bereiche des Lebens und der Wissenschaft anzuwenden, wird von Taleb kritisiert. Der Grund: In den meisten Fällen funktionieren die Verhaltensmuster nicht so, wie im Lehrbuch beschrieben. Sein Argument basiert auf der Idee, dass Vorhersagemodelle zu mathematischer Reinheit tendieren und verschiedene Aspekte nicht berücksichtigen. Solche Aspekte könnten sein:
- Nicht die Gesamtheit der verfügbaren Informationen zu besitzen. In der Wirtschaft sind dies z.B. die Pläne von Investoren, die nicht veröffentlicht werden, Veränderungen auf dem Markt oder die Absichten anderer Teilnehmer des Prozesses.
- Kleine unbekannte Abweichungen in den Daten können große Auswirkungen haben. Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit oder Hindernisse, mit denen niemand rechnet, die aber dennoch eintreten können, müssten entsprechend berücksichtigt werden.
Taleb definiert zwei Bereiche, in denen wir über Risiko nachdenken können:
- Der ludische Bereich, der wie ein Spiel mit klar definierten Regeln aufgebaut ist (wie ein Casino)
- Der ökologische Bereich (das „wirkliche Leben“), wo niemand die exakten Regeln kennt und man nicht bestimmen kann, welche Variablen zu welchem Ergebnis beitragen.