Verfügbarkeitsheuristik

Wie uns das Sensationelle schnell ablenkt und zum Availability Bias führt

Grundlagen eines der zentralen Biases von Kahneman und Tversky
Auswikungen des Availability Bias im Berufsleben
Praktische Empfehlungen und die Möglichkeiten in einem Team
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Stell dir vor, dein Team diskutiert über die Einführung einer neuen Technologie. Ein Kollege erinnert sich an das Unternehmen von einem Freund, das damit große Erfolge erzielt hat, und erzählt begeistert von deren Projekt. Sofort richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Implementierung dieser Technologie. Doch ist sie wirklich für dein Unternehmen geeignet bzw. gibt es bessere Alternativen?

Die Verfügbarkeitsheuristik ist eines der zentralen Forschungsergebnisse von Daniel Kahneman und Amos Tversky. Sie dreht sich um die Frage, warum uns bestimmte Ideen oder Eigenschaften von Personen plausibler erscheinen als andere. Diese verzerrte Wahrnehmung führt rasch zu Fehlurteilen, die als Availability Bias Kennzeichen einer der wichtigsten kognitiven Verzerrungen sind. Wir sprechen in diesem Artikel gezielt berufliche Beispiele und Anwendungsfelder an, die nicht unmittelbar ersichtlich sind.

Von der Verfügbarkeitsheuristik zum Availability Bias

Die Beurteilung relevanter Informationen war in der menschlichen Evolution stets ein überlebenswichtiger Faktor. Einer unserer Vorfahren hat sich vielleicht daran erinnert, dass sich ein Rudel Raubtiere gerne an einem bestimmten Flussabschnitt aufhält – und mied diesen dann. Was wir dabei rasch aus unserem Gedächtnis abrufen, spielt hier die entscheidende Rolle. Unser Gehirn verwendet die Verfügbarkeitsheuristik als mentale Abkürzung.

Beim Beispiel zu Beginn geht es um eine komplexe Frage: Welche Technologie ist für unser Unternehmen die passendste? Die Anekdote des Kollegen, die ihm sofort einfällt, lenkt die Diskussion in eine bestimmte Richtung (und setzt somit einen Anker – Näheres zum Ankereffekt in einem anderen Artikel). Anstatt verschiedene Alternativen objektiv zu diskutieren, führt die leicht aus dem Gedächtnis abgerufene Geschichte möglicherweise zu einer Vorentscheidung, die nicht passend sein muss.

Daher: Die Verfügbarkeitsheuristik ist zunächst eine neutrale Strategie, die uns hilft, komplexe Entscheidungen zu vereinfachen. Der Availability Bias entsteht, wenn diese Strategie systematisch zu Verzerrungen führt, weil die Informationen nicht repräsentativ oder objektiv gewichtet sind wie in unserem Beispiel.

Merkmale dieser wichtigen kognitiven Verzerrung

Die Verfügbarkeitsheuristik wurde in den 1970er-Jahren von Amos Tversky und Daniel Kahneman erforscht. Sie fanden heraus, dass Menschen dazu neigen, die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses dann als wichtig zu bewerten, wenn sie es einfach aus dem Gedächtnis abrufen können. Ein Experiment zeigte etwa, dass die befragten Personen die Gefahr von Flugzeugabstürzen größer einschätzten, wenn sie sich an einen kürzlichen Absturz erinnern konnten. Die eigentlichen Fakten, in diesem Fall die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit eines Unglücks, gerieten so in den Hintergrund.

Das bedeutet: je präsenter eine Information im Gedächtnis ist, desto leichter ist sie abrufbar – und desto wahrscheinlicher schätzen wir es ein. In der Forschung wurden folgende Faktoren identifiziert, die den Availability Bias verstärken:

  • Drama
  • Außergewöhnliches
  • Persönliches
  • Aktuelles

Überlege kurz – wo spielt dies eine Rolle?

Die Diskussion in Live-Workshops dreht sich schnell um mediale Themen – dort sind die genannten Faktoren klar erkennbar, um die Relevanz von Geschichten (und damit ihre Merkbarkeit und Abrufbarkeit) zu verstärken. Die Auswirkungen der Verfügbarkeitsheuristik und des Availability Bias gehen jedoch wesentlich weiter. Sie spielen für persönliche Entscheidungen eine Rolle (welche Versicherung schließe ich etwa ab) und sind auch im beruflichen Alltag ein Feld mit vielen Anwendungsfeldern. Da dies weniger bekannt ist, sehen wir uns verschiedene davon näher an.​

 

 

Wie die Verfügbarkeitsheuristik berufliche Entscheidungen beeinflusst

Du stellst dir jetzt womöglich die Frage, in welchen Bereichen deines beruflichen Alltags dieser Bias relevant ist. Wenn du diesen Anwendungskontext kennst, kannst du mit De-Biasing Maßnahmen beginnen. Rufen wir uns das zentrale Merkmal der Verfügbarkeitsheuristik in Erinnerung: Wir halten schnell und einfach abrufbare Informationen als wichtiger als jene, die wir im Gedächtnis „ausgraben“ müssen. Der Availability Bias entsteht, wenn wir daraufhin fehlerhafte Urteile bzw. Entscheidungen treffen. Hier ein paar Beispiele, die dir vielleicht in den Sinn gekommen sind:

  • Risikomanagement:
    Welche Risiken und Chancen fallen uns auf – wie bewerten wir ihre Wahrscheinlichkeit? Die Forschungen von Kahneman und Tversky zeigen eindrucksvoll, wie stark prägnante Ereignisse unsere Einschätzung verzerren. Das Problem dabei: Die Risikoidentifikation und -bewertung sind maßgeblich dafür, welche Maßnahmen im Risikomanagement getroffen werden. Eine fehlerhafte Beurteilung bzw. das Nicht-Wahrnehmen unspektakulärer, jedoch wesentlicher Risiken führen zu falschen Maßnahmen. Diese können das Risiko vergrößern, anstatt es zu verringern. Wir widmen uns dem Availability Bias in mehrerer Hinsicht im Kurs Risiko, da er sich so stark in diesem Bereich auswirken kann. Es gibt daneben Situationen bzw. Haltungen, die die Wahrscheinlichkeit des Bias erhöhen – erfahre mehr darüber im Kurs!

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Welche weiteren Beispiele fallen dir ein? Teile gerne deine Gedanken im Forum und überlege, wie du in diesen Situationen zur Bias-Vermeidung umgehen kannst

Wie du den Availability Bias erkennen und überwinden kannst

Der Availability Bias gehört zu jenen kognitiven Verzerrungen, die für Menschen oft nur schwer für sich selbst erkennbar und akzeptabel sind. Er steht im Gegensatz zu einem Selbstbild, das man gerne von sich hat: Ich treffe Urteile und Entscheidungen autonom und objektiv. Wer möchte das nicht von sich selbst behaupten? Der Bias ist auch schwer bei sich selbst ausfindig zu machen – im Vergleich zum Bestätigungsfehler oder zum Overconfidence Bias (die wir beide im Einführungs-Kurs näher behandeln) lässt er sich schwerer kontextualisieren. Warum? Der ständige „Kampf um Aufmerksamkeit“ führt dazu, dass Informationen permanent von außen kommen bzw. aus dem Gedächtnis abgerufen werden – für eine Einzelperson ist dies rasch überfordernd.

Es gibt jedoch passende Schritte, um diesem Bias effektiv zu begegnen. Dies können wir insbesondere im Zusammenspiel mit anderen Menschen umsetzen – das kann für dich interessant sein, wenn du in deiner Organisation Dinge verbessern möchtest. Wir stellen die folgenden De-Biasing Maßnahmen daher vor allem in den Kontext eines Teams.

 

Availability Bias – erste Gegenmaßnahmen:

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Versuche, diese ersten Schritte beruflich dort umzusetzen, wo du ein Bias-Risiko ausgemacht hast. Aufgrund der breiten Relevanz des Availability Bias wirst du rasch ein Anwendungsfeld finden. Es gibt dabei auch spezielle Kennzeichen, die auf das Vorhandensein des Bias deuten können – erfahre mehr darüber im Kurs Risiko, im Kapitel über die Risikoidentifikation!

Zusammenfassung

Die Verfügbarkeitsheuristik ist ein mächtiges Werkzeug unseres Gehirns. Sie ermöglicht uns, rasch Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, um schnell entscheiden zu können. Das hat sich evolutionär bewährt, kann in der heutigen Welt unsere Urteilskraft stark verzerren. Was schnell und einfach erinnert werden kann, muss nicht automatisch richtig oder relevant in einer konkreten Situation sein. Die systematische Verzerrung dabei bezeichnen wir als Availability Bias.

Wir haben einige Anwendungsfelder im beruflichen Alltag skizziert, die nur selten damit in Verbindung gesetzt werden. Ein aktiver Umgang damit ist jedoch entscheidend dafür, diesen Bias in Feldern wie Risikomanagement oder Personalentscheidungen möglichst zu vermeiden. Er kann hier zu Ergebnissen führen, die den Zielen der Organisation widersprechen.

Schulungen, strukturierte Prozesse inklusive De-Biasing Maßnahmen und eine kritische Reflexion sind Startpunkte, um dem Availability Bias im Arbeitsalltag zu begegnen. Es bietet sich insbesondere an, Teams und deren vielfältige Perspektiven gezielt zu nutzen – mit dem Resultat klarerer Prioritäten, einer gesteigerten Entscheidungsqualität und somit besserer Ergebnisse.

Alle Links, die wir im Text verwendet haben

https://de-biasing.com/ankereffekt-im-marketing-anchoring-bias-wir-zahlen-oft-mehr-als-noetig/

https://de-biasing.com/courses/risiko/

https://de-biasing.com/foren/forum/gruppen-foren/

https://de-biasing.com/biases/bestaetigungsfehler-confirmation-bias/

https://de-biasing.com/courses/einfuehrung-in-die-welt-der-unconscious-biases/

https://www.markus-eckhart.at/unternehmen/business-partnering.html

 

Weiterführende Quellen:

  • Tversky und Kahneman (1973): „Availability: A Heuristic for Judging Frequency and Probability“
  • Schwarz et al. (1991): „Ease of Retrieval as Information: Another Look at the Availability Heuristic“
  • Kliger und Kudryavtsev (2010): „The Availability Heuristic and Investors‘ Reaction to Company-Specific Events“
  • Hayibor und Wasieleski (2009): „Effects of the Use of the Availability Heuristic on Ethical Decision-Making in Organizations“

 

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