Wir Menschen haben Erwartungen, wie die Welt rund um uns aussehen sollte. Wir sind mit diesen Erwartungen und Meinungen aufgewachsen und diese Bilder im Kopf prägen unsere Meinungen und Schlussfolgerungen ganz vehement. Dahinter liegt eines der wesentlichen Prinzipien aus der Forschung von Daniel Kahneman und Amos Tversky. In der Rekrutierung – eine der zentralsten Entscheidungen in jedem Unternehmen – führen die Bilder im Kopf regelmäßig zu falschen Entscheidungen. Warum ist dies so und was können wir dagegen effektiv unternehmen?
Beobachtungen in der Praxis
Es gibt Studien, dass die obersten Führungskräfte im Schnitt deutlich größer gewachsen sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Warum? Führungseigenschaften stehen wohl nicht in kausalem Zusammenhang mit der Körpergröße. Nichtsdestotrotz arbeiten hier starke Bilder im Kopf. Helden, Kämpfer, starke Männer, ob beispielsweise in Film und Fernsehen oder beim Militär: Die Körpergröße suggeriert Sicherheit, Stärke und Souveränität – unabhängig davon, ob die jeweilige Person tatsächlich über diese Persönlichkeitsmerkmale verfügt. Der durchschnittliche CEO von Unternehmen ist ein groß gewachsener Mann. Eine entsprechende Körpergröße wird nach wie vor mit Kompetenz und Erfolg verbunden.
Kleine Männer haben es bei der Vergabe von Spitzenjobs deutlich schwerer, auch hier gibt es Bilder im Kopf. Das Bild des „Napoleons”. Eine kleine Körpergröße wird in der Praxis mit einem herrschsüchtigen und schwierigen Charakter verbunden. Bilder im Kopf suggerieren, dass aufgrund der kleineren Körperstatur die charakterlichen Eigenschaften, wie beispielsweise Schreien und ein hitziges Temperament, überwiegen müssen. Bei Frauen herrscht ein anderes Bild im Kopf. Schöne Frauen werden oftmals als weniger kompetent erachtet. Es gibt nach wie vor Vorbehalte, sie für Spitzenjobs heranzuziehen. Darüber hinaus gibt es bei jüngeren Frauen den Vorbehalt, dass sie rasch heiraten und Kinder bekommen möchten, und daher für den Spitzenjob nicht geeignet sind.
Während der große, gutaussehende Mann den Job bekommt, sieht es hier für die Frau mit ähnlichen Eigenschaften eher schlechter aus.
Zu homogene Teams
Eine weitere Beobachtung aus der Praxis zeigt, dass manche Teams extrem homogen wirken und der Führungskraft stark ähneln. Es gibt eine dominante Kultur, nach der man Personal sucht und rekrutiert – das Resultat: der sogenannte Mini-Me. Führungskräfte umgeben sich in der Praxis gerne mit ähnlich denkenden Menschen. Diese sind für sie besser einschätzbar, verstehen die Führungskraft und ihre Handlungen besser und sind in der Führung allgemein einfacher handzuhaben. Ein Mini-Me gilt für die jeweilige Führungskraft als Erfolgsgarant, denn die Person denkt und handelt ähnlich. Keine komplizierten Gespräche, Unstimmigkeiten oder gar andersdenkende Persönlichkeiten, die die Zusammenarbeit nur herausfordernd gestalten. Führungskräfte werden bei Rekrutierungen immer wieder auf sogenannte Mini-Mes greifen, denn bei diesen kann das Risiko einer Fehlbesetzung aus ihrer Sicht minimiert werden.
Diversität sieht in den genannten Fällen anders aus. Dies kann für Unternehmen problematisch werden – wissen wir doch, dass die diverse Zusammensetzung von Teams tendenziell zu mehr Erfolg und Innovation führt. Aus unternehmerischer Sicht ist klar, worum es grundsätzlich geht: als Team Erwartungen zu erfüllen, Ziele zu erreichen und letztlich dem Unternehmen zu verhelfen besser als Mitbewerber zu sein.
Hindern uns unsere Bilder im Kopf, dieses Potential zu erreichen?
Perspektiven einer Headhunterin
Aus der Sicht einer Headhunterin ist es immer die oberste Priorität, nicht nach Geschlecht, sondern alle Personen nach ihren Kompetenzen, Persönlichkeit und ihrem Potential zu bewerten. Dennoch müssen das Unternehmen und das entsprechende Team dafür bereit sein, ihre eigenen Bilder im Kopf zu kennen und mit diesen zu arbeiten.
In der Praxis werden das Thema Bilder im Kopf und unbewusste Denkmuster immer wieder schlagend – letztendlich entscheidet immer die Führungskraft, wer gut in das Team passt und wer nicht. Es geht darum, dass die Zusammenarbeit funktioniert und es zu keinen unnötigen Reibungsverlusten kommt. Folge dessen hängt es auch vom Reifegrad der jeweiligen Führungskraft ab, inwieweit sie es zulässt sich auf unsicheres Terrain zu begeben und doch einmal jemanden in das Team zu holen, der/ die kein Abbild eines Mini-Mes ist. Um echte Diversität in den unterschiedlichsten Ausprägungen zu leben, muss die Führungskraft selbstsicher genug und offen dafür sein, dass Andersartigkeit auch Vorteile bringt. Zusätzlich müssen die anderen Team-Mitglieder ebenfalls eine Offenheit mitbringen. Es macht keinen Sinn, beispielsweise ein reines Männerteam mit einer Frau zu komplementieren, und sich dann zu erwarten, dass die Zusammenarbeit prosperiert. Das neue Teammitglied muss gesamtheitlich in das Teamgefüge passen, harmonieren und sich auch willkommen fühlen.
Representativeness – ein hilfreiches Konzept bei Personalentscheidungen
Daniel Kahneman und Amos Tversky haben mit ihrer bahnbrechenden Forschungsarbeit unser Verständnis menschlicher Verhaltensweisen grundlegend verändert. Eines ihrer zentralen Konzepte betraf die „representativeness“. Es basiert auf folgenden Elementen:
- Wir Menschen haben Modelle von der Wirklichkeit entwickelt, die wir individuell und subjektiv anwenden.
- Wir vergleichen ständig unsere Wahrnehmungen mit diesen Bildern im Kopf und treffen auf dieser Basis Urteile.
- Je ähnlicher etwas zu unserem Modell scheint, desto plausibler schätzen wir es ein, auch wenn es von der Realität abweicht.
In unserem Anwendungsfall kann es dazu führen, dass uns die Bilder im Kopf in die Irre führen. Bereits bei der Rekrutierung und später bei Entscheidungen wie etwa Beförderungen spielen diese immer eine Rolle. Dies betrifft sowohl die Personalabteilung als auch die Personen, die letztlich über Personalfragen entscheiden.
In der Realität ist es oftmals der Fall, dass sich Führungskräfte ähnlich tickende Personen aussuchen, da sie „die gleiche Sprache sprechen” bzw. die Sprache sprechen, die man erwartet. Dieser Prozess passiert oftmals unbewusst, verschiedene „Unconscious Biases“ sind hier aktiv.
Weitere Faktoren spielen eine Rolle
Das Konzept der „representativeness“ ist ein wesentlicher Faktor- jedoch nicht der einzige, der Rekrutierungsentscheidungen beeinflusst. Weitere verzerrende Elemente sind etwa:
- Stereotypen und offene Vorurteile:
Es werden Personen aus bestimmten Bevölkerungsgruppen (etwa Frauen, Menschen mit anderer Hautfarbe oder aus bestimmten Altersgruppen) offen abgelehnt.
- Mühsame Heterogenität:
Andersdenkende Personen könnten mehr hinterfragen, in der Führung “anstrengender” wirken und die Führungskraft mehr fordern.
- Negative Assoziationen:
Die andere Person erinnert uns vielleicht an jemanden, erzeugt negative Bilder in uns, macht uns Angst, etc. und führt unter anderem dazu, dass wir uns für das Vertraute entscheiden.
Empfehlungen
Wir empfehlen Unternehmen ihre Führungskräfte dahingehend zu trainieren, dass diese sich ihrer jeweiligen Bilder im Kopf bewusst werden. Diese Arbeit ist intensiv, erfordert ein sich ständiges darüber bewusst werden und eine einheitliche Zielsetzung, das Potential von Diversität und von Inklusion nutzen zu wollen. Einige grundlegende Punkte sind:
- Festlegung der strategischen Ausrichtung, Wichtigkeit von Diversität und Inklusion (soll nicht als Drohgebärde, sondern als Chance im Unternehmen gesehen werden).
- Von den zuständigen Personalrecruitern bis über die Führungskräfte sollten sich alle immer wieder die eigenen Bilder im Kopf veranschaulichen und sich so früh genug mit fundamentalen Biases beschäftigen (nobody is perfect; die abgespeicherten Bilder im Kopf werden immer wieder aufpoppen, ein erstes Bewusstsein dafür zu entwickeln ist schon der erste Schritt in die richtige Richtung).
- Voneinander lernen und Diversität zulassen (sich untereinander regelmäßig austauschen, Maßnahmen setzen, neue Teamzusammensetzungen zulassen und von ihnen lernen, etc.).
- Fokus auf Zukunftskompetenzen und uneingeschränkte Förderung aller Personen, um diese auszubauen.
- Eigene Urteile kritisch hinterfragen und die Auswirkungen von (Personal)Entscheidungen hinsichtlich der definierten Ziele regelmäßig überprüfen.
Bianca Flaschner
Bianca Flaschner bringt mehr als 25 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Executive Search, Personalmanagement und Beratung mit. Sie ist eine ausgewiesene Expertin für die Besetzung von Führungs- und Nachwuchsführungspositionen, national und international und hat Suchprojekte bereits aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln, sowohl als Auftraggeberin als auch als Auftragnehmerin durchgeführt. Aufgrund ihrer jahrelangen Begleitung von Top Leadern, Führungs- und Nachwuchskräften und einer Ausbildung zum Systemischen Coach ist sie auch eine ausgewiesene Expertin bei der Begleitung von Personen in Veränderungsprozessen.
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Markus Eckhart
Markus Eckhart ist Initiator von de-biasing.com. Nach 20 Jahren in internationalen Unternehmen gründete er 2019 sein Beratungsunternehmen Mind your business. Dort begleitet er Unternehmen auf Basis seiner Erfahrungen als Führungskraft, primär bei den Themen Entscheidungsfindung und Entscheidungsunterstützung. Zusätzlich arbeitet er mit Einzelpersonen zusammen und unterstützt sie in den Bereichen Sparring, Coaching und Mentoring. Er ist zertifizierter systemischer Coach und Mentaltrainer.
Bereits in seiner Konzernkarriere beschäftigte er sich mit De-Biasing und dessen praktischer Anwendung. Das Ziel von de-biasing.com ist es, dieses wichtige Thema möglichst vielen Menschen näher zu bringen und sie bei der Reduktion ihrer Biases zu unterstützen.
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