In Kürze ist es wieder so weit: Sommer, Sonne, Strand sind angesagt. Folglich wälzen sich Blechlawinen in den Süden, zahlreiche Baustellen und Staus stellen die Geduld der Autofahrer:innen und Mitreisenden auf eine harte Probe. Gleichzeitig sind die Flughäfen zum Bersten voll, Verspätungen oder kurzfristige Absagen gehören für Passagiere zur Tagesordnung.
Im vorliegenden Artikel wollen wir der Frage nachgehen, welche Urlaubsreise sicherer ist: die mit dem Auto oder die mit dem Flugzeug?
Zahlen, Daten und Fakten
Starten wir zunächst mit den Fakten: Im Jahr 2024 kamen weltweit 334 Menschen bei Flugzeugabstürzen ums Leben. Das schwerste Unglück ereignete sich am 29. Dezember 2024, als eine Boeing 737-800 der südkoreanischen Fluggesellschaft Jeju Air nach der Landung auf dem Flughafen Muan verunglückte. 179 Insassen starben, zwei Crewmitglieder überlebten das Unglück [1].
Abbildung 1: Gegenüberstellung Todesfälle und Passagieraufkommen (1970-2024) [1]
Während die Zahl der Toten im vergangenen Jahr mehr als das Vierfache des Wertes von 2023 beträgt, geht der langfristige Trend in die entgegengesetzte Richtung. Im Jahr 2024 war die Reise mit dem Flugzeug aufgrund zahlreicher Maßnahmen um 53 % sicherer als noch in den 1970er Jahren (siehe Abbildung 1).
Während wir die Zahl der Opfer in der zivilen Luftfahrt mittlerweile sehr exakt bestimmen können, verhält es sich mit dem Straßenverkehr ganz anders. Die Ermittlung der Zahl der weltweiten Verkehrstoten gestaltet sich nämlich schwierig. Das liegt zum einen daran, dass bislang keine globale Agentur oder Institution existiert, die das Vertrauen genießt, uneingeschränkt auf die Daten nationaler Behörden zuzugreifen und seriöse Zahlen zu publizieren, die von niemandem ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Das wiederum hängt damit zusammen, dass viele Länder selbst über keine verlässliche, (hohen) Qualitätsstandards entsprechende Verkehrsstatistik verfügen. Selbst wenn diese vorliegen, ist ein Vergleich der unterschiedlichen Statistiken aufgrund länderspezifischer Besonderheiten nicht immer ohne Weiteres möglich und daher ist Vorsicht geboten. In unserem konkreten Fall wollen wir den Fokus zudem ausschließlich auf den Autoreiseverkehr richten. Menschen, die auf dem Weg in die Arbeit oder auf dem Schulweg verletzt oder getötet wurden, sollen – bei aller Tragik – nicht Berücksichtigung finden. Ebenso wenig gilt unser Interesse Unfällen, wo Fahrzeuge, die keine PKWs sind, involviert sind.
Bedauerlicherweise existiert eine solche Auswertung nicht. Valide Schätzungen und seriöse Annahmen – frei jeglicher Biases – lassen sich kaum oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand bewerkstelligen. Für die Zwecke dieses Artikels wollen wir daher die Zahlen der öffentlich zugänglichen Statistikämter heranziehen und der Einfachheit halber auf die insgesamte Zahl an Verkehrstoten abstellen. Der Unschärfe, die sich daraus ergibt, sind wir uns wohl bewusst. Insbesondere sind die beiden Grundgesamtheiten nicht miteinander vergleichbar, denn an jedem beliebigen Tag sind weltweit um ein Vielfaches mehr Menschen mit dem Auto als mit dem Flugzeug unterwegs.
In der EU starben im abgelaufenen Jahr 19.800 Menschen [2], in den USA wird von 44.680 im Straßenverkehr getöteten Personen ausgegangen [3]. Auf Österreichs Straßen wurden im Jahr 2024 insgesamt 349 Verkehrstote gezählt [4].
Allein auf Österreichs Straßen gab es somit in einem Jahr mehr Tote als bei zivilen Flugzeugabstürzen auf der ganzen Welt ums Leben gekommen sind. Diese Aussage kann zwar aus den soeben dargelegten Gründen als unpräzise angesehen werden. Gleichzeitig sprechen die Zahlen, Daten und Fakten eine klare Sprache: Im Vergleich mit dem Auto schneidet die „Reise“ mit dem Flieger in puncto Sicherheit in absoluten Zahlen besser ab.
Wodurch lässt sich erklären, dass wir Menschen das Reisen mit dem Flugzeug als gefährlicher wahrnehmen als das Autofahren? Warum lassen wir Zahlen, Daten und Fakten außer Acht und sind wir nicht in der Lage, Risiken objektiv zu messen und abzuwägen? Welche Faktoren beeinflussen unsere Risikowahrnehmung und damit letztlich unsere Entscheidungsfindung? Anhand ausgewählter Situationen und Szenarien werden wir diese Fragen einer vertieften wissenschaftlichen Betrachtung unterziehen.
Die menschliche Risikowahrnehmung im Straßenverkehr
Als Mitfahrer:innen haben viele Menschen Angst. Diese verschwindet jedoch, wenn sie selbst am Steuer sitzen und objektiv weit gefährlichere Verhaltensweisen an den Tag legen.
Der Hauptgrund hierfür liegt im empfundenen Kontrollverlust. Wenn wir selbst am Steuer sitzen, fühlen wir uns sicherer, da wir glauben, aktiv in das Geschehen eingreifen zu können. Diese sogenannte Kontrollillusion führt dazu, dass das subjektive Risiko als geringer eingeschätzt wird, obwohl das tatsächliche Risiko unverändert oder sogar erhöht ist [5].
Studien zeigen, dass Menschen dazu neigen, eigene Handlungen positiver zu bewerten und Gefahren systematisch zu unterschätzen, wenn sie aktiv handeln können. Im Gegensatz dazu erleben Beifahrer:innen eine Unsicherheits- und Abhängigkeitssituation, in der fehlende Einflussmöglichkeiten das Angstempfinden verstärken. Dieses Ungleichgewicht zwischen objektivem Risiko und subjektiver Wahrnehmung hat nicht nur Auswirkungen auf das individuelle Erleben, sondern auch auf die Kommunikation und das Konfliktpotenzial im Straßenverkehr [6] [7]. Überdies scheint der Wahlfreiheit eine zentrale Rolle zuzukommen.
Ein bekanntes Paradoxon in der Risikowahrnehmung: Paare vermeiden es, gemeinsam zu fliegen, um ihre Kinder im Ernstfall abzusichern – fahren aber gemeinsam mit dem Auto, obwohl das Risiko dabei objektiv deutlich höher ist. Dieses Verhalten lässt sich durch psychologische Heuristiken und Wahrnehmungsverzerrungen erklären.
Die Verfügbarkeitsheuristik führt dazu, dass seltene, medienwirksame und emotional aufgeladene Ereignisse wie Flugzeugabstürze als wahrscheinlicher eingeschätzt werden [8]. Gleichzeitig vermittelt das Autofahren durch die eigene Steuerungsmöglichkeit eine Kontrollillusion, die das subjektive Risiko mindert [9]. Gerd Gigerenzer belegt eindrucksvoll, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 viele Menschen aus Angst vor dem Fliegen auf das Auto auswichen – mit einem signifikanten Anstieg tödlicher Verkehrsunfälle in den USA [10].
Das Beispiel zeigt, wie stark unsere Risikowahrnehmung durch Emotionen, Kontrollempfinden und Medienpräsenz beeinflusst wird – sehr oft zum eigenen Nachteil.
Viele Autofahrer fahren – wenn sie eine Unfallstelle passiert haben – für eine gewisse Zeit langsamer, danach aber wieder so schnell wie vorher.
Zahlreiche Studien belegen, dass Autofahrer:innen nach dem Passieren einer Unfallstelle ihr Fahrverhalten kurzfristig ändern. Sie reduzieren ihr Tempo und fahren defensiver. Dieses Verhalten ist jedoch nur von begrenzter Dauer. Nach wenigen Minuten oder Kilometern kehren viele Fahrer:innen zu ihrem ursprünglichen, teils riskanteren Fahrstil zurück.
Dieses Phänomen lässt sich durch drei psychologische Mechanismen erklären:
- Die Risk-Homeostasis-Theorie besagt, dass Menschen ein individuelles, akzeptiertes Risikoniveau haben und ihr Verhalten so anpassen, dass es konstant bleibt [11]. Ein Unfall hebt dieses subjektive Risiko kurzfristig an, bis sich das Risikogefühl wieder normalisiert.
- Zudem tritt der Hawthorne-Effekt auf: Fahrer verhalten sich unter dem Eindruck von Kontrolle oder Beobachtung (z. B. Unfall, Polizei) vorsichtiger, ohne dies dauerhaft beizubehalten [12].
- Schließlich führt die emotionale Aktivierung beim Anblick eines Unfalls zu kurzfristigem Stress und Betroffenheit. Diese Reaktion klingt jedoch durch Habituation schnell ab [13].
Das Phänomen zeigt, wie stark situative Reize das Verkehrsverhalten beeinflussen – und wie kurzlebig diese Effekte ohne langfristige Verhaltensänderungen bleiben.
Warum wir Pestizide in Nahrungsmitteln oder Nitrate im Trinkwasser fürchten – und auf der Autobahn rasen.
Menschen schätzen Risiken systematisch falsch ein: Die Verfügbarkeitsheuristik sorgt dafür, dass medienpräsente oder emotionalisierte Risiken überschätzt werden. Pestizide oder „unsichtbare Gifte“ werden als Dread Risks wahrgenommen, weil sie schleichend, unsichtbar und potenziell tödlich sind. Die Medien berichten zudem eher über spektakuläre oder „unsichtbare Gefahren“ und verstärken dadurch die Angst [14].
Autofahren erscheint den meisten von uns vertraut und gewohnt.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass alltägliche Aktivitäten wie Autofahren aufgrund ihrer Routine als weniger riskant wahrgenommen werden, was zu einer verminderten Risikowahrnehmung führt. Eine Studie der Universität zu Köln in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Essen untersuchte dieses Phänomen mithilfe eines Fahrsimulators und funktioneller Magnetresonanztomographie. Die Ergebnisse zeigten, dass bekannte Strecken im Gehirn weniger Aktivität hervorrufen als unbekannte, was den Hinweis auf eine geringere Aufmerksamkeit und schlechtere Reaktionsfähigkeit zulässt. Dies bedeutet, dass Autofahrer:innen auf vertrauten Routen weniger aufmerksam sind und somit hier ein erhöhtes Unfallrisiko besteht [15].
Zusätzlich unterstützt die sogenannte Desensibilisierungshypothese diese Erkenntnisse. Sie besagt, dass Fahrer gegenüber häufig erlebten Verkehrssituationen in ihrer eigenen Region weniger empfindlich reagieren und somit Risiken unterschätzen. Eine Studie mit Teilnehmer:innen aus unterschiedlichen Regionen der Welt zeigt, dass Autofahrer:innen Gefahren in ihrer eigenen Region als weniger riskant wahrnehmen, was den Schluss zulässt, dass wir Menschen uns an bestimmte Verkehrssituationen gewöhnen [16].
Diese Studien verdeutlichen, dass Routine im Straßenverkehr zu einer verminderten Risikowahrnehmung führen kann, was die Bedeutung von kontinuierlicher Aufmerksamkeit und bewusster Fahrweise unterstreicht.
Baruch Fischhoff und seine Kollegen entwickelten in den 1970er- und 1980er-Jahren das sogenannte Psychometric Paradigm. Dieses Modell zeigt, dass Risiken, die freiwillig eingegangen werden, vertraut sind oder als kontrollierbar gelten, subjektiv als weniger bedrohlich wahrgenommen werden – unabhängig von ihrer objektiven Gefährlichkeit. Diese Faktoren führen dazu, dass Menschen alltägliche Risiken unterschätzen und potenziell gefährliche Situationen nicht angemessen einschätzen [17] [18] [19].
In späteren Arbeiten hob Fischhoff zudem hervor, dass effektive Risikokommunikation entscheidend ist, um das Bewusstsein für unterschätzte Risiken zu schärfen. Klare, präzise und empirisch getestete Informationen können dazu beitragen, die Risikowahrnehmung zu korrigieren und informierte Entscheidungen zu fördern [20].
Conclusio
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, Risiken rational wahrzunehmen und zu bewerten. Eine Vielzahl an emotionalen und kognitiven Faktoren beeinflusst unsere Risikowahrnehmung und damit letztlich unsere Entscheidungsfindung. Unsere Risikowahrnehmung ist subjektiv und wird von einer Reihe psychologischer Faktoren verzerrt. Angst und Furcht können die Risikowahrnehmung erhöhen, während Vertrautheit und Kontrolle diese verringern. Wir fürchten uns mehr vor dem, was wir nicht kontrollieren können, als vor dem, was uns tatsächlich bedroht. Wir überschätzen seltene Gefahren und unterschätzen alltägliche Risiken. Die größten Gefahren sind oft die, denen wir am wenigsten Beachtung schenken (wollen). Darüber hinaus spielt die mediale Aufmerksamkeit bei der Risikoeinschätzung eine nicht unwesentliche Rolle. Studien von Fischhoff und anderen liefern wertvolle Einblicke in diese Prozesse und unterstreichen die Bedeutung einer fundierten Risikokommunikation.
Im Vergleich zum Auto ist das Flugzeug rein statistisch das sichere Verkehrsmittel. Die Fahrt mit dem Auto zum Flughafen ist demnach der gefährlichste Teil einer jeden Flugreise.
Immer öfter reisen wir für Sommer, Sonne, Strand in den hohen Norden. Da die Sommer in Mitteleuropa immer heißer werden, sehnen sich viele Menschen nach moderateren Temperaturen und verbringen ihre Ferien vermehrt in Skandinavien. Ob der Sommerurlaub uns in den Süden oder in den Norden führt, unsere Risikowahrnehmung betreffend Flugzeug vs. Auto bleibt dieselbe.
Empfehlung: Das Anwendungsfeld Wahrnehmung thematisieren wir auf der Plattform in verschiedenster Form. Hier sind weitere Anregungen:
- Stolpersteine des Verstehens verstehen
- Diversität in Unternehmen nutzen
- Interkulturelle Führung – ohne Grenzen?
- Feedback, Feedforward oder Feedsomething
- Stolpersteine im Recruiting
- Der Kurs Risiko widmet sich umfangreich verschiedenen Verzerrungen im Umgang mit Risiken und Chancen
Quellen:
[1] Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (2025). Wie sicher war Luftverkehr im Jahr 2024? Luftfahrt aktuell Nr. 1/2025.
[2] Europäische Kommission (2025). EU road fatalities drop by 3% in 2024, but progress remains slow. Link [abgerufen am 28.05.2025]
[3] National Safety Council (2025). Preliminary Semiannual Estimates. Link [abgerufen am 28.05.2025]
[4] Bundesministerium für Inneres (2025). Verkehrsstatistik 2024. Link [abgerufen am 28.05.2025]
[5] Langer, E.J. (1975). The illusion of control. Journal of Personality and Social Psychology, 32(2), S. 311-328.
[6] Matthews, G. (2002). Driver stress and performance. Traffic Psychology Today.
[7] Fuller, R. (2005). Towards a general theory of driver behaviour. Accident Analysis & Prevention, 37(3), S. 461-472.
[8] Tversky, A. & Kahneman, D. (1974). Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases. Science, 185(4157), S. 1124-1131.
[9] Slovic, P. (1987). Perception of risk. Science, 236(4799), S. 280-285.
[10] Gigerenzer, G. (2004). Dread Risk, September 11, and Fatal Traffic Accidents. Psychological Science, 15(4), S. 286-287.
[11] Wilde, G.J.S. (1982). The theory of risk homeostasis: implications for safety and health. Risk Analysis.
[12] West, R. et al (1993). Direct observation of driving, self reports of driver behaviour, and accident involvement. Ergonomics, 36(5), S. 557–567. https://doi.org/10.1080/00140139308967912
[13] Matthews, G. & Desmond, P.A. (2002). Task-induced fatigue states and simulated driving performance. QJEP.
[14] Slovic, P. (2000). The perception of risk. Risk, society, and policy series. Earthscan Publications.
[15] Bresges, A. (2010). Tödliche Gewohnheit im Straßenverkehr. Universität zu Köln. Link [abgerufen am 28.05.2025]
[16] Bazilinskyy P. et al (2020). Risk perception: A study using dashcam videos and participants from different world regions. Traffic Inj Prev. 2020;21(6). S. 347-353. doi: 10.1080/15389588.2020.1762871
[17] Fischoff, B. et al (1981). Acceptable risk. Cambridge University Press.
[18] Fischhoff, B. et al (1978). How safe is safe enough? A psychometric study of attitudes towards technological risks and benefits. Policy Sciences, 9(2), S. 127–152.
[19] Fischhoff, B. (1984). Setting standards: A systematic approach to managing public health and safety risks. Management Science, 30(7), S. 823–843.
[20] Greenberg, M. et al (2022). Social vulnerability, resilience, and risk. Risk Analysis. Volume 42, Issue9, Special Series: Systemic Risks, September 2022, S. 1895-1899. https://doi.org/10.1111/risa.13996
Christoph Polly
Christoph Polly ist Unternehmensberater, Lektor, Trainer und Coach. Zuvor war er 15 Jahre für Accenture und PwC tätig. Seine Beratungsschwerpunkte sind Strategie, Transformation, Nachhaltigkeit, Klima- und Naturrisikomanagement.
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